Advent – Sehnsucht nach einer heileren Welt …
Was hat es mit dem Advent auf sich? Eine besondere Zeit. Ich erlebe allenthalben die Spannung zwischen der Sehnsucht nach Stille und Besinnung und der Erfahrung von einer eigenen Art von Hektik und Betriebsamkeit. Ich erlebe die Sehnsucht nach einer heilen, einer heileren Welt, einer Welt ohne Skandale, einer Welt, in der einer dem andern trauen darf.

Ich kann mich noch gut erinnern. Vor fünfzig Jahren gab es einen Skandal der besonderen Art: Helmut Qualtingers „Herr Karl”, der Monolog des kleinbürgerlichen Opportunisten, der es sich immer richtet und auf Kosten anderer seinen Vorteil lebt. Gemeint war ein bestimmter Typ von Österreicher, betroffen gefühlt haben sich in ihrer Empörung fast alle.
Heutige TV-Aufregungen reichen von schwulen Dancing-Stars, über Korruptionsaffären mit täglich neuen Enthüllungen, über Pfusch in der Schönheitschirurgie, über Wirtschafts-, Finanz- und Schuldenkrisen, über die Misshandlung von Kindern in Heimen etc. bis zum Ungehorsam in der Kirche und zur „Pfarrerrevolte” wegen längst überfälliger Reformen.

Heute ist alles sehr schnelllebig …
Das hat sein Gutes. Es schafft aber auch Unbehagen, Unruhe, Stress. Vermutlich ist die Schnelllebigkeit ein Grund dafür, dass bereits Wochen vor Jahresschluss an Geschehnisse der verflossenen Monate erinnert wird. Die Printmedien produzieren Sonderbeilagen und Extra-Magazine, um wenigstens für kurze Zeit die Zeit anzuhalten.

Sehnsucht nach ein wenig Wärme und Geborgenheit …
Beim regelmäßigen Rorate-Gang in aller Herrgottsfrühe und bei anderen religiösen Brauchtümern – Adventkränze, Anklöpfeln, Krippele-Schauen etc. – fragt kein Mensch, ob das noch zeitgemäß sei. Dahinter leben Stimmungen, Gefühle. Kindliche Erinnerungen werden an Weihnachten großzügig bedient und gepflegt. Den Höhepunkt weihnachtlicher Stimmungen erreichen viele im Gottesdienstbesuch am Heiligen Abend oder in der Christmette. In der Glaubensgemeinschaft – in Liturgie und in kirchlichem Brauchtum – scheint manche Vorliebe für Ästhetik von gestern und vorgestern Platz zu greifen. Ein feierlicher Gottesdienst mit viel Weihrauch! Werte werden wieder hochgejubelt, Ritualien sind wieder – zumindest für einige Zeit – hoch im Kurs.

Hinter manchem geschäftigen Treiben keimt ein Gespür für die Zeit, für Zeit, die vergeht, und für Zeit, die kommt, für eine Zeit, die Wunden heilt und für eine Zeit, die neue Hoffnungen weckt. Fast sieht es so aus, als ob in den Adventswochen Wünsche wach würden, die das ganze Jahr schlafen: Sehnsucht nach ein wenig Wärme und Geborgenheit, Sehnsucht nach Angenommensein, nach ein wenig Liebe.

Der Advent ist ohne Zweifel eine besondere Zeit – eine Zeit, in der sich manches zu öffnen scheint, was sonst eher verschlossen bleibt, eine Zeit, in der sich das Herz neu auftut für das Stimmungsvolle, auch für Religiöses. Bekannte Texte aus den großen Propheten des Alten Testaments mit den bekannten großen Visionen werden lebendig: Dann schmieden sie Pflugscharen aus ihren Schwertern und Winzermesser aus ihren Lanzen. Kalb und Löwe weiden zusammen. Kuh und Bärin freunden sich an, ihre Jungen liegen beieinander. Der Löwe frisst Stroh wie das Rind. Der Säugling spielt vor dem Schlupfloch der Natter, das Kind streckt seine Hand in die Höhle der Schlange. Man tut nichts Böses mehr und begeht kein Verbrechen auf meinem ganzen heiligen Berg (vgl. Jes 2, 4; 11, 6 – 9).
Die bekannte Weihnachtsbotschaft wird wieder zum Klingen gebracht: Euch ist heute der Heiland geboren. Es ist der Messias, Christus, der Herr. Generationen von Menschen haben – übrigens nicht nur im Volke Israel – von diesem kommenden „Heiland der Welt” geträumt.

In John Lennons legendärem Lied „imagine” singt er von einer Welt, in der Religion und bisherige Konventionen einem Frieden weichen, der kaum vorstellbar scheint. Er steht mit dieser Sehnsucht für viele Menschen, wenn es zu der knappen Aussage im Lied kommt: „You may say I am a dreamer – But I‘m not the only one.” – „Du magst sagen, ich sei ein Träumer. – Aber ich bin nicht der Einzige.” Es gibt die Zweifler und Skeptiker, die fragen, ob an der Botschaft von Jesus Christus etwas dran ist. Diese Frage wird ständig gestellt seit den Anfängen der Kirche. In der Tat haben zu allen Zeiten Menschen aus dieser Botschaft gelebt. Und oft und oft sind Menschen für diese Botschaft in den Tod gegangen.

 

Die Botschaft von Jesus Christus …
Es geht nicht um eine harmlose Inszenierung von Kindheitserinnerungen, bei denen einem warm ums Herz wird. Es geht um die

 

Botschaft einer neuen Gottesnähe ...

Von Anfang an bis heute feiern die Christen im Brechen des Brotes Leben, Leiden, Tod und Auferstehung Jesu Christi als Zeichen der Hoffnung auf Zukunft. Die adventliche Sehnsucht erfüllt sich in der Menschwerdung Gottes. Wir sind als Christen hineingetauft in diesen menschgewordenen Gott – in sein Leben, in sein Leiden, in seinen Tod, in seine Auferstehung.
Die biblischen Texte sprechen von seiner zweiten Ankunft, von seiner Wiederkunft: In der Urkirche glaubte man, der in den Himmel aufgefahrene Herr werde in Kürze – nach einer kleinen Weile – wieder zurückkommen. Und für diese Wiederkunft Christi müsse man vorbereitet, gefasst sein. Man dürfe diese Wiederkunft Christi keineswegs verschlafen oder sonstwie versäumen. Aus den ersten Christen, die in solcher Nah-Erwartung lebten, sind wir Christen geworden, die sich in der Welt gut eingerichtet haben. Heute schrecken uns eher Katastrophenmeldungen auf, sie lassen uns an einer friedlichen, lebenswerten Zukunft zweifeln.

Gott wird sichtbar in uns …
Die Messias-Erwartung musste sich auf neue Beine stellen: In unserem alltäglichen Menschsein soll etwas spürbar werden von der Gegenwart Gottes in der Welt.

Gott begegnet uns in Menschen, die uns brauchen …
Das Matthäus-Evangelium berichtet uns: Er war hungrig und durstig, fremd und obdachlos, krank, gefangen. Und die ihm geholfen haben, haben das Nahe-Liegende getan. Sie haben seinen Hunger und Durst gestillt, sie haben ihm Dach und Kleidung geboten. Und Jesus antwortet ihnen: Was ihr für einen der Geringsten getan habt, das habt ihr mir getan (vgl. Mt 25, 31 – 46). Zu Recht hat der heilige Franz von Assisi im Aussätzigen, der ihm vor den Stadtmauern über den Weg läuft, Christus erkannt. So begegnet Gott in unserem Alltag …

Gott wird Mensch am Rand der Welt …
Ergriffen von der Botschaft der Engel machen sich die Hirten auf den Weg zur Krippe. Sie waren vom Himmel her angesprochen worden – von der Welt wurden sie nie angesprochen, weil sie kein Ansehen besaßen. Gott wird Mensch am Rand der Welt, um den ausgegrenzten Menschen neu in die Mitte zu führen. Verstehen kann das niemand. Deshalb stehen am Anfang das Schauen und Staunen, das Erzählen und der Lobpreis.
Man nimmt auf und bewahrt alles im Herzen. Was man erlebt hat, vergisst man nicht mehr. Man kann nicht anders, als es immer wieder weiterzusagen und weiterzuerzählen. Die Weihnachtsgeschichte muss man weitersagen und weitererzählen. Sie darf nicht verstummen …

In diesem Sinne euch allen eine gute Zeit! Lasst euch ein wenig anrühren
von der Weihnachtsbotschaft!
Euer Präses P. Wolfhard